Rheinland-pfälzisches Handwerk im Dialog mit Bundestagsabgeordneten
Im Sitz der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft gleich neben dem Reichstag in Berlin begrüßten die Präsidenten, Vizepräsidenten und Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammern von Trier, Koblenz, Rheinhessen und der Pfalz zahlreiche Bundestagsabgeordnete aus Rheinland-Pfalz zum „Parlamentarischen Abend“ 2024. Schirmherr der Veranstaltung war Patrick Schnieder, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion. Kurz vor der Sommerpause tauschten sich die Vertreterinnen und Vertreter der Handwerkskammern mit den Parlamentariern über Themen aus, die die Handwerkskammern, die Unternehmen und deren Beschäftigte aktuell umtreiben.
Zum Handwerk in Rheinland-Pfalz zählen über 56.000 Betriebe und rund 266.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, davon sind 18.000 Auszubildende. „Die Betriebe erwirtschaften einen Umsatz von zirka 38 Milliarden Euro. Auch das ist ein Grund, warum wir selbstbewusst auftreten können“, berichtete Kurt Krautscheid, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Handwerkskammern Rheinland-Pfalz zur Eröffnung des Abends. Drängende Themen kamen zur Sprache: Finanzierung der Bildungsstätten, das Musikschul-Urteil und dessen Folgen sowie Bürokratie und der Fachkräftemangel.
Investitionsschub für Bildungszentren des Handwerks
Mit über 500 Bildungszentren gehört das Handwerk zu den größten Weiterbildungsanbietern in Deutschland. Dr. Till Mischler, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer der Pfalz, betonte, dass die meisten Bildungsstätten aus den 80er Jahren dringend modernisiert und saniert werden müssen. Finanziert werden diese von Bund, Land und vom Handwerk selbst.
„Wir haben Sorge, dass die dafür vorgesehen Haushaltsansätze nicht ausreichen“, so Mischler. Das führe dazu, dass es zu Verzögerungen kommt, die die Investitionen verteuern könnten. Mischler lud die Bundestagsabgeordneten ein, sich vor Ort ein Bild zu machen und sich für einen Investitionsschub über die Regelförderung hinaus einzusetzen.
Die überbetriebliche Ausbildung wird traditionell zu je einem Drittel über Bund, Land und die Betriebe – abgewickelt über die Kammern – finanziert. Mischler plädierte dafür, die Haushaltsansätze hierzu mindestens konstant zu halten.
Musikschul-Urteil gefährdet Organisation der Meister- und Fortbildungskurse
Ein weiteres drängendes Bildungsthema ist das aktuelle Musikschul-Urteil des Bundessozialgerichts und dessen Folgen für die Handwerkskammern. Nach dem Urteil müssten freie Lehrkräfte künftig fest angestellt werden. „Für uns heißt das, dass die Organisation unserer Meister- und Fortbildungskurse grundlegend gefährdet ist“, sagte Hans-Jörg Friese, Präsident der Handwerkskammer Rheinhessen.
Das Urteil erschwert es erheblich, selbstständige Honorarkräfte einzusetzen. Einige Handwerkskammern würden bereits überlegen, komplett aus der Weiterbildung auszusteigen, berichtete Friese. „Es besteht erhebliche Unsicherheit“, so der HWK-Präsident.
Nach aktuellem Stand würden Nachzahlungen für die Sozialversicherung und strafrechtliche Folgen drohen. In den Meister- und Fortbildungskursen des Handwerks sei es aber nicht möglich, die Honorardozenten durch festangestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu ersetzen, da die Dozenten in der Regel hoch spezialisierte Handwerksmeister sind, „um ihr Gewerk nach vorne zu bringen oder junge Leute zu fördern“. Durch Angestelltenverträge seien diese Personen nicht erreichbar, betonte Friese.
Die gesamte Weiterbildungslandschaft sei durch das Urteil gefährdet. „Und das in einer Zeit, in der lebenslanges Lernen immer wichtiger wird.“ Daher sein Appell an die Abgeordneten, das Thema politisch und schnell zu lösen.
Betriebe ächzen unter Nachweis- und Dokumentationspflichten
Die Betriebe selbst belastet momentan am meisten der Bürokratieaufwand. „Dieser ist in den letzten zwölf Jahren permanent gestiegen“, erklärte Rudi Müller, Präsident der Handwerkskammer Trier. „Ständige Anpassungen an neue gesetzliche Regelungen sind für 76 Prozent unserer Handwerksbetriebe der größte Belastungsfaktor“, berichtete Müller.
Die Firmen würden unter den wachsenden Nachweis- und Dokumentationspflichten leiden. Die Folgen seien verheerend: „Ein Drittel der Meisterkursabsolventen scheut wegen der Bürokratie den Schritt in die Selbstständigkeit.“ Mit der EU-Nachhaltigkeitsrichtlinie drohe eine „Bürokratiemaschine, die den bisherigen Wahnsinn noch in den Schatten stellt“.
Das Handwerk setzt nun auf das vierte Bürokratieentlastungsgesetz, dessen Verabschiedung gerade auf den Spätsommer verschoben wurde. Wenn das Handwerk „aus dem Würgegriff des Staates“ befreit würde, würde das die ,„Wachstumsbremse lösen“, so Müller.
Mehr Wertschätzung und Anerkennung der beruflichen Bildung
Als Schirmherr des Abends ging Patrick Schnieder, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, insbesondere auf den Fachkräftemangel im Handwerk ein. Es beunruhige ihn, dass kleine und mittlere Handwerksbetriebe sich stark in der dualen Ausbildung engagieren, aber dennoch jede fünfte Stelle unbesetzt bleibe, so der Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Bitburg. Ursache dafür seinen neben dem demografischen Wandel eine Schieflage in der Bildungspolitik.
Im Bereich der akademischen Bildung seien in den letzten Jahren viele Hochschulstudiengänge umfassend ausgebaut worden. „Es gibt inzwischen 21.000 Studiengänge in Deutschland.“ Es müsse auch bei der beruflichen Bildung entsprechend mehr getan werden.
Die „Exzellenzstrategie“ Berufliche Bildung der Bundesregierung sei ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Das müsse auf allen Ebenen verstärkt werden, „um mehr Wertschätzung und Anerkennung für berufliche Bildung“ zu schaffen. Auch an Gymnasien brauche es mehr berufliche Bildung, so der Bundestagsabgeordnete, der sich im Vorstand der Handwerkskammer Trier engagiert. Eine Möglichkeit seien mehr Praktika für Gymnasiasten in Handwerksbetrieben.
Eine positive Entwicklung für die Fachkräftesicherung habe es bei der Berufsvalidierung gegeben, die es Quereinsteigern über 25 Jahren ermöglicht, berufsrelevante Kompetenzen anerkennen zu lassen.
Bürokratie: Regelungen zunächst befristen
Schnieder räumte ein, dass die Politik es beim Thema Bürokratie in den letzten Jahren und Jahrzehnten teilweise übertrieben habe – nicht nur in Brüssel. Oft käme die Bürokratie aber auch von den Bürgern und der Wirtschaft selbst, die danach rufen würden, Gesetzeslücken zu regeln. Wichtig sei es jetzt, Regelungen abzuschaffen, die heute keinen Sinn mehr machen. Oder neue Regeln zunächst auf vier Jahre zu befristen.
Auch wenn Bürokratie wichtig sei, um das Zusammenleben zu regeln, brauche es eine sofortige und dringende Entlastung für die Wirtschaft. Eine, die über das Bürokratieentlastungsgesetz IV hinausgeht. Sonst würden immer mehr Menschen davor zurückschrecken, sich selbstständig zu machen. „Wir müssen alle gemeinsam das Mindset ändern, wie wir mit Regelungen umgehen“, betonte Schnieder. Eine gemeinsame Lösung müsse es auch dringend für das Musikschul-Urteil geben, dafür wolle er sich einsetzen.
Liste der Herausforderungen ist lang
Die Stimmung im Handwerk ist aktuell nicht gut“, sagte Dirk Palige, Geschäftsführer des Deutschen Handwerkskammertages (DHKT) und des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH). „Und die Lage scheint die Stimmung einzuholen.“ Umsätze und Beschäftigtenzahlen seien im ersten Quartal 2024 zurückgegangen. Große Sorge würde dem Handwerk die Stimmung in der Gesellschaft bereiten, sagte Palige. Zudem sei die Liste der Herausforderungen lang und würde tagtäglich länger.
Die Betriebe berichten von
zuviel
- Sozialabgaben,
- Steuerlast,
- Bürokratie,
- Unsicherheit und
- Fachkräften,
zuwenig
- Fachkräften
- Unterstützung für berufliche Bildung,
- Zuversicht und
- Vertrauen in Unternehmertum.
Palige appellierte an die Betriebe und an die Kammern, auf die Politik zuzugehen, das Gespräch zu suchen und Vorschläge zu unterbreiten. Denn das ist das, was Handwerk kann: „Lösungen anbieten“.Er ermunterte die Kammern auch, bis September noch möglichst viele Themen des Handwerks in das Bürokratieentlastungsgesetz einzubringen. Die Chance sei einmalig: „Hauen Sie jeden Ball rein, der Ihnen hingelegt wird.“ Denn momentan ist ein durchschnittlicher Handwerksbetrieb zwölf Stunden pro Woche mit Bürokratie beschäftigt.
Zum Thema Gleichwertigkeit der beruflichen und akademischen Bildung gebe es eine positive Entwicklung, berichtete Palige. Man sei in einem guten Gespräch mit der Bundesbildungsministerin. Sie habe versichert, dass sie sich für eine gesetzliche Festschreibung der Gleichwertigkeit einsetzen werde. „Wir gehen davon aus, dass wir noch in dieser Legislatur einen guten Schritt vorankommen.“
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